Steve Albini und Shellac und ich

Man sagt, jeder wisse noch heute, was er am 11. September 2001 gemacht hat. Und zwar nicht nur die Barbaren in der westlichen Abendland-Welt, sondern auch die zivilisierten Araber im Morgenland. Der Tag, an dem ein paar Verrückte beschlossen, mit großen gekaperten Flugzeugen in zwei Hochhäuser in New York City zu fliegen, ging in die jüngere Geschichte ein und so, wie damals die Mondlandung bei Opa und Oma, wurde auch dieses einschneidende Erlebnis live im Fernsehen übertragen.
Jeder weiß, wo er war und was er gerade gemacht hat, als ihn die Nachricht erreichte, dass die Türme eingestürzt sind. Rumms, einfach weg.

Ich zum Beispiel war auf dem Weg nach oder bereits in Berlin, ist ein bisschen verschwommen. Gemeinsam mit meinem damaligen Gitarristen und Kumpel bin ich im Zug nach Braunschweig gefahren, wo uns unser damaliger Sänger und Kumpel ins Auto verfrachtete und bis zum Maria am Ostbahnhof fuhr. Wie das damals so war, liefen die ganze Fahrt über irgendwelche Kassetten und man hat geraucht und gelacht und voller Vorfreude auf das bevorstehende Konzert noch ein paar Lieder mehr vom letzten Album durch das leiernde Tapedeck gejagt. Am Abend sollten Shellac spielen. Die Band hatte ich zwei Jahre zuvor bei einer anderen Frau (Vera) in Groningen gesehen und wurde damals absolut umgehauen von der Performance, dem Sound, der Atmosphäre und dem kleinen Mann am Mirko da vorne auf der Bühne.

Als wir in Berlin einfuhren, war auf einmal sehr viel Polizei unterwegs und alle wirkten irgendwie recht nervös, schlecht gelaunt und angespannt. Ich glaub, wir haben dann mal das Autoradio angemacht und erfahren, was auf der anderen Seite des Atlantiks am Tag geschehen war. So richtig verstanden hab ich das damals nicht, auf keinen Fall konnte ich erahnen, was das für die Zukunft der Welt bedeutete. Uns war das an dem Abend relativ egal – wir haben uns auf die Show gefreut und allem Anschein nach hatten auch Shellac nichts Besseres zu tun, als in der ollen Halle am Ostbahnhof ein Konzert zu spielen.

Auch an diesem Abend hab ich mich komplett im Sound der Band verloren und konnte sogar die neuen Songs genießen, die dann erst 6 Jahre später auf Vinyl erscheinen sollten. Was für eine Band, was für ein Typ, sind das da selbstgebaute Verstärker? Puh, was für ein Typ.

In den Jahren danach sind Shellac immer wieder nach Europa gekommen und ich bin der Band im gleichen Rhythmus auf die Konzerte gefolgt und wurde nie enttäuscht. Zwischen der Vera ’99 und dem Festsaal Kreuzberg ’22 lagen ein paar tolle Abende mit Shellac, aber das beste Konzert war tatsächlich das erste und das schlechteste irgendwie auch das letzte, obgleich ich nie ein "schlechtes" Konzert von der Band erlebt habe. Festsaal Kreuzberg ist halt einfach kacke. Man bewertet Gold wohl anders, wenn man viel Gold gesehen hat.

Irgendwie hab ich die letzen Alben alle nicht mehr so häufig gehört wie die ersten Singles und meine Bewunderung für die Band ist eher einer Bewunderung für Steve Albini gewichen. Er ist mehr als Person und Persönlichkeit in den Fokus gerückt. Der Musiker und Produzent (Verzeihung, Engineer) trat dabei in den Hintergrund. Ich könnte viele Videos hier reinstellen, die man sich mal ansehen sollte, oder die endlosen Threads und Kommentare, die allesamt sehr lesenswert sind…sucht euch die besten Sachen einfach mal selber heraus.

Stellvertretend, und weil es mein Leben nachhaltig beeinflusst hat:

Wir sind nachts noch nach Braunschweig zurück gefahren, nachdem wir einen kurzen Aufenthalt in der Notaufnahme hinter uns bringen mussten. Mein Gitarrist und Kumpel hatte sich das feuchte Taschentuch gegen den Lärm zu weit ins Ohr gedrückt und bekam es nur noch mithilfe von chirurgischer Hilfe wieder heraus…wir hatten damals noch nicht verstanden, dass dieser "Lärm" der beste Sound der Welt ist und dieser Mann da am Mikro das Talent und den Willen dafür hat, diesen Lärm auf tausenden Alben anderer Bands festzuhalten.

Was für ein Typ. Schade, viel zu früh.

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