Discogs – Aufstieg und Fall in der Gunst eines Nutzers

Discogs! Die fast schon zwanzig Jahre alte Webseite hat sich in den letzten 10 Jahren zu der meistbesuchten Plattform für Musikliebhaber/Nerds und Sammler gemausert, wenn man den nicht ganz so genauen Statistiken Glauben schenken mag. Und das auch irgendwie zurecht, denn mit der Idee einer vollständigen Online-Datenbank von Tonträgern aller Musikrichtungen hat man – gerade was Vinyl angeht – bei dem Hipster-Zeitgeist offene Türen eingerannt. Ok, zunächst war das alles anders und der Gründer Kevin Lewandowski (habt ihr auch zwei hässliche Fußballer vor Augen? Haha) wollte eigentlich bloß seine eigene Plattensammlung online katalogisieren. Das fanden viele Leute ganz prima und so wurde Discogs zu einer öffentlichen Seite, die durch ihre Nutzer und deren Input stetig wuchs. Zunächst wurden Diskografien von Künstlern eingetragen, die nur ein einziges Genre – elektronische Musik – bedienten. Dann kam Hip Hop hinzu und nach und nach wuchs die Datenbank durch die Fleißarbeit der vielen Discogs-Nutzer an.
Heute hat Discogs fast 400.000 Nutzer und die Datenbank umfasst mehr als 9 Millionen Tonträger. Das ist alles ziemlich cool, wie ich finde. Ein System, das von einer Vielzahl von Nutzern aufgebaut und kontrolliert wird, erfüllt so seinen Selbstzweck: die vollständige Diskografie von Labels und Bands mit allen offiziellen und inoffiziellen Releases in all ihren Variationen.

Gerade im Punk Rock und Hardcore Bereich ist das interessant für mich gewesen, da ich hier sehen konnte, welche Pressung einer bestimmten LP eigentlich bei mir im Schrank steht, welche anderen Releases die Band noch hat und vor allem, welche anderen Variationen es von den LPs und Singles weltweit so gibt. Das, was das Flex schon sehr ausführlich, aber eben nicht vollständig leisten konnte, war hier auf einmal online einzusehen. Und ich habe das Flex immer sehr gerne durchgeblättert und den Burkhard in Gedanken gelobt (für seine unfassbare Mühe) und gehasst (für seine unfassbare Plattensammlung). Natürlich ist das alles nur nerdige Sammlerkacke und im Endeffekt auch nur eine bekloppte Vergötterung seiner Plattensammlung, wenn man irgendeine seltene Auflage einer alten Hardcore LP im Schrank stehen hat. Aber so ist das ja generell mit dem Sammeln von Dingen. Wenn man mal eine Leidenschaft entwickelt hat, nimmt man auf einmal solche im Grunde unwichtigen Sachen ernst, wie limitierte Erstauflagen und bestimmte unterschiedliche Farben der Cover oder des Vinyls. Da ist man schnell von der Musik, um die es ja eigentlich geht, weg und nicht viel besser als ein Briefmarkensammler, der seine seltenen Papierfetzen im staubigen Büchlein aneinanderreiht, um sie sich einmal im Jahr anzusehen. Aber über den Sinn und Unsinn vom Plattensammeln will ich hier gar nicht groß schreiben, das ist ein viel zu großes und komplexes Thema.

Angemeldet habe ich mich bei Discogs, um meine eigene Sammlung einzutragen und die Datenbank zu ergänzen, wo es nötig war. Zu der Zeit hat man über die Seite nur sehr wenig LPs gekauft, da die Preise im Vergleich zu anderen gebrauchten Angeboten bei Ebay oder im echten Plattenladen doch recht hoch waren. So kam man eigentlich nie auf die Idee, sich an dem angeblichen Wert einer LP, die man besitzt, aufzugeilen oder andere Releases zu kaufen, da man wusste, diese Preise entsprachen nicht der Realität. Aber die Möglichkeit, fast jede Platte online kaufen zu können, war auf einmal da. Wenn man heute Geld hat, kann man sich eine sehr geschmackvolle Plattensammlung zusammenstellen, ohne dafür 30 Jahre auf Konzerten, Flohmärkten, Plattenläden oder in dubiosen Internetforen sein Leben zu vergeuden. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, muss jeder selber wissen.
In den letzten Jahren ist aber durch das gestiegene Angebot von Tonträgern und die ebenfalls erhöhte Nachfrage ein Preisniveau entstanden, das einigermaßen nah bei den Preisen der besagten anderen Anlaufstellen angesiedelt ist. Ob Discogs jetzt hier maßgeblich die Preise bestimmt, weil sich einfach jeder auf diese Seite bezieht oder ob das alles gerechtfertigt ist, kann man auf einem freien Markt immer schlecht beurteilen. Auf jeden Fall hat sich die einstige Datenbank zu einem lukrativen Umschlagplatz entwickelt, bei dem Discogs nicht schlecht mitverdient. Wenn man liest, dass im Jahr 2017 über 10 Millionen Tonträger über die Seite verkauft wurden und bei jeder Transaktion ein kleines Bisschen an Discogs abgetreten werden muss, kann man sich schon denken, dass es sich hier nicht mehr nur um eine nette Datenbank für nerdige Sammlerspinner handelt, sondern um ein fettes Geschäftsmodell. Und damit geht der ganze schöne Gedanke leider flöten. Denn es fühlt sich irgendwie falsch an, dass wenige Penner davon profitieren, was sehr viele Sammler zusammengetragen haben – klingt vielleicht naiv, aber mit genau dieser Naivität hat das Projekt Discogs ja begonnen.

Das hat mich jetzt nicht davon abgeschreckt, auch mal die eine oder andere Platte über die Seite zu kaufen oder auch zu verkaufen, so viel zu meiner Integrität. Was ich aber tatsächlich schlecht und scheiße finde, ist die Restriktion bei Discogs, inoffizielle Tonräger zu verkaufen. Discogs hat seit längerer Zeit schon damit angefangen, die inoffiziellen Releases vom Verkauf auszuschließen. Das heißt, die vielfachen Bootlegs von irgendwelchen Liveaufnahmen sind nicht mehr käuflich zu erwerben über die Seite. Zum Glück werden die Daten nicht entfernt, also man hat nach wie vor die Möglichkeit, sämtliche Releases eines Künstlers einzusehen – egal, ob offiziell erschienen oder ein Bootleg eines Fans oder gar eine Fälschung. Alle Daten bleiben erhalten, aber kaufen darf man die Artikel nicht mehr. Und hier hakt es eben.
Ich weiß, dass es Abmahnungen an Discogs, Ebay, Amazon usw. gibt, wenn sie inoffizielle Tonträger verkaufen, bzw. den Handel mit dieser Ware ermöglichen. Aber ich kann ja dennoch den Schritt, einen Verkauf von eben diesen Tonträgern zu untersagen, erbärmlich kacke finden. Denn entweder man bietet alles an oder halt nicht – dem Künstler kann das hier ziemlich egal sein, er verdient ja ohnehin nichts an den Verkäufen seiner Second-Hand Platten, da macht es keinen Unterschied, ob es Bootleg, Original oder sogar Fälschung ist. Wem wird also geschadet? Oder andersherum, wem nützt dieses Verbot? Wenn jemand zuviel Zeit hat, könnte er/sie da bitte einmal drüber nachdenken, ja?

Mir persönlich geht Discogs damit auf jeden Fall ziemlich auf den Sack, wenn die Seitenbetreiber einerseits erfreut darüber sind, dass so viele Nutzer mitmachen und die Datenbank so groß geworden ist; dabei so tun, als würden sie der Menschheit einen riesigen Gefallen tun – und andererseits ihre Taschen vollstopfen mit Geld, für das sie eigentlich nur die Serverkapazitäten der Seite zur Verfügung stellen müssen und nebenbei auch noch einen wichtigen Teil der Releases den Nutzern käuflich nicht zugänglich machen, weil sie sich in die Hose scheißen. Dann sollen sie bitte einfach den Marktplatz schließen und lediglich die Datenbank weiter betreiben. Die Nutzer können sich ja auch außerhalb von Discogs auf Käufe verständigen, da braucht man dann auch keine Gebühren zu bezahlen. Mir hat der ganze Scheiß auf jeden Fall wesentlich besser gefallen, als der Verkaufsaspekt noch nicht im Vordergrund stand, hier hat Discogs ganz klar Sympathie und Integrität eingebüßt. Und um das noch einmal klar zu stellen: ich finde die Seite nach wie vor großartig, denn die Idee und Aufgabe einer kompletten Katalogisierung von sämtlichen Musiktonträgern ist für einen Platten- und Musikliebhaber einfach genial. Schade ist halt nur, dass man diese feine Idee mit einem raffgierigen Geschäftsmodell gepaart hat und nun mit diesem Bastard irgendwie leben muss…