Zuckerbecker – Retortenstadt LP

Das kommt davon, wenn man zu viele Sprachen spricht. Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Rätoromanisch… Kein Wunder, dass man dann durcheinander kommt und nicht mehr weiß, wie man Bäcker richtig schreibt. Aber egal.

Auf der Tonspur ist alles in Ordnung und die Zuckerbecker singen auf Englisch und Deutsch über ihre Sorgen und Ängste, wie man es in 80ern ebenso gerne durchmischt hat, wenn man auf die neue Welle der Gitarrenmusik aufspringen wollte. Die 4 Buben aus Zürich frickeln ordentlich in den Kinderschuhen des Wave und Punks herum und kommen mit 8 eingängigen Hits daher, die ganz wunderbar zu den Tanzstunden in den dunklen Kellergewölben der Stadt passen.

Man spürt die ganze Zeit eine leichte Zurückhaltung, die vielleicht auch der konsequent verhallten Gesangstimme geschuldet ist, die irgendwo hinter der Ecke aus der Bierdose heraus singt. OK, wenn man in ner Bushaltestelle aufnimmt, klingt das halt so. Das ist natürlich inzwischen nicht mehr neu, aber was ist das schon heutzutage. Find ich toll.

Mörtelsounds (DE). The Supermarket (CH). Auf Kassette und digital und auf Vinyl zu kaufen. Für Euro und Franken. Oder vielleicht auch für Briefmarken. Apropos – da man sich ja nicht auf eine Sprache einigen kann in dem Land, ist die Beschriftung der Briefmarken kurzerhand auf Latein. Crazy Volk.

Z.O.L. – Zwei Oktaven Langsamer CS

Ich könnte mir vorstellen, dass genau so vor 40 bis 45 Jahren ein ganzer Haufen an Garage- und Kellerbands in Deutschland geklungen haben. Wie schön, dass wir heutzutage an dieser Subkultur direkt teilhaben können.

Zwei Oktaven Langsamer oder Z.O.L. sind drei Leipziger Streuner, die im Musikunterricht nicht besonders gut aufgepasst haben und deswegen auch so wunderbar krumme Musik abliefern können. Der Roundhouse Kick mit Räuberleiter vom Cover visualisiert sehr charmant den Mix der 8 Knaller aus Lofi Schrammel Garage Punk mit viel Herz und Dosenbier. Cool.

Phantom Records. Auf Kassette erschienen. Achtung, Schulferien. Vielleicht ein bisschen weniger schreiben und ein bisschen mehr spielen. Bis denne.

Eel Men – Stop it! Do Something. LP

Auch wenn der Aufruf ein bisschen verwirrend anmutet, wirkt das Debüt Album von den Eel Men aus London wie ein Riesenlutscher vom Jahrmarkt. Was soll ich denn nun machen? Aufhören oder Anfangen. Womit? Das klingt ein bisschen nach panischem Aktionismus, aber vielleicht schätze ich die Stimmung auch falsch ein.

Mit dem Album kommt auf jeden Fall ein bisschen klebriger Pop mit quietschbuntem Punk und einer Aura aus längst vergangener Zeit auf den Plattenteller . Runde Sache. Der Lutscher und das Album. Schmeckt auch nicht nach Fisch, sondern ist tatsächlich süß wie Toffee, bleibt gleichermaßen in den Zwischenräumen des Gehirns stecken und macht es sich da bei den Buzzcocks und Wire gemütlich. Passt.

Big Neck Records. Erschienen auf schwarzem Vinyl mit drei verschiedenen Covervariationen. Vielleicht hat das in England eine besondere Bedeutung, aber die "Aal Männer" ist ein selten dämlicher Bandname.

The Snags – White Russians In Kreuzberg 7″

The Snags aus Berlin. Alles daran erinnert an früher. Der Song klingt wie eine Mischung aus Briefs und Cyanide Pills, also Bands, die ihrerseits bereits in der Mottenkiste des 77er Punks gewühlt haben.

Der Titel verspricht einen Sahne-Drink mit Kaffeelikör, der schon unseren Omas (und dem Dude, natürlich) im Bart kleben geblieben ist. Naja, manch einer kann einfach bestimmte Sounds immer und immer wieder hören, ohne dass sie langweilig werden.

Oder, wenn die Buzzcocks LPs aus Deinem Regal alle durchgelutscht und auswendig gelernt sind, kannst Du hier ein paar Kopien von Kopien der Kopie genießen. Für die einen ist es der Beweis, dass Punk wirklich not dead und für andere, dass Innovation dem Genre nicht gerade inhärent ist. Ich bin zwischen beiden Stühlen ausgerutscht und hingefallen. Cool?

Take The City Records. Kommt auf 7″ Größe heraus. Ich hab in Kreuzberg lieber Bier, Russisch Koks und Polnische Rakete getrunken, aber ich bin auch ein Hinterwäldler. Cheers.

Whelpwisher – Same Mistakes

Manche Künstler müssen es den weniger talentierten Menschen um sie herum immer wieder unter die Nase reiben, wie viel besser sie doch sind. Natürlich meinen die Menschen das nicht so – Nein – das ist wie früher in der Schule, wo sich auch die Klassenbesten immer total verwundert über ihre tollen Zensuren gezeigt haben.

Gut, im Gegensatz zu den Künstlern heute haben die Kinder früher immer Klassenkloppe bekommen, aber hat es geholfen? Oder sind das am Ende ein und dieselben Personen? Huch.
Ich muss den Ben das mal fragen, wenn ich ihn sehe. Der Mann steckt hinter Whelpwisher aus Chicago, der mit diesem neuen Album ein Projekt veröffentlicht, das er Ende letzten Jahres in Angriff genommen hatte. Jeden Tag einen Song schreiben und aufnehmen. Und so hat der fleißige Mann in einem Amphetamin Cannabis Kaugummi Exzess zwei Wochen durchgemacht und 12 wunderbare Pop Punk Garage Nummern inklusive Interlude veröffentlicht, die auch gut einem Tony Molina zu Gesichte stünden. Das gibt Keile, Mister!

Nur digital. Das Cover ist kacke. Und mit dem Plattenpressen kommt er anscheinend noch nicht hinterher. Beruhigend zu wissen, dass er irgendwas nicht kann. Schönen Start in die Woche – falls ihr Lehrer seid, klaut doch mal so einem Kind heute das Pausenbrot. Pädagogik und so.

Snarewaves – S/T CS

Ein weiteres Beweisstück in der Klageschrift gegen orchestrale Punk Bands. Warum nach seltsam riechenden Mitgliedern über die örtliche Proberaum-Pinnwand suchen, wenn man doch heutzutage alles alleine machen kann? Adam ist schlau, der macht alles alleine.

Und heraus kommen dann seit einigen Jahren schon vorzeigbare Computer Noise Punk Stimmungshits unter dem Namen Snarewaves, die zwar beizeiten ziemlich aggro machen, aber das war irgendwann dem Punk ja auch mal inhärent, ne? Passt wunderbar zum Flippern oder Skateboardfahren, irgend so eine Tätigkeit, die man nur alleine so richtig gut ausführen kann.
Vielleicht ist das die Kehrseite der Medaille, dass Musik, die von Eremiten veröffentlicht wird, oft auch den Vibe der Einsamkeit transportiert. Uff, ich glaub, ich brauch Wochenende.

Painters Tape. Auf Kassette erschienen. Der Typ macht seit über 6 Jahren Musik, da sind zu Beginn der "Karriere" noch so richtig elektronische Geh- bzw. Tanzversuche entstanden, bevor sich dann das Genre in die Garage entwickelt hat. Aus der Zeit stammt dann wohl noch die Affinität zum Smiley. Also nicht an dem Cover lecken!

The Rebel Set – Bummer City LP

Jetzt machen sich also bald die Praktikanten von der Dorfpolizei und die Auzubis aus dem Innenministerium heimlich an meiner Haustür zu schaffen, wenn ich im Urlaub bin. Würden die vielleicht auch die Blumen gießen, wenn man einen freundlichen Zettel an die Tür hängt? Ich hab sonst hier niemanden. Naja, mal ausprobieren.

The Rebel Set aus Phönix in Arizona orgeln mit ihrer neuen LP im Surf Garage Rock diesen ganzen Ärger über die ständigen staatlichen Hauseinbrüche einfach weg. Mit einem leicht federnden Hoppsa-Schritt skippidippididoodeln sie einfach über den Strand und winken gutgelaunt den an Plastikmüll erstickenden Seevögeln zu. Es ist alles eine Frage der Einstellung.

Tolle 11 Songs mit Hammond, ohne Verzerrer und viel tanzbarer Entspannung. Genau das Richtige.

Chaputa! Records. Auf LP erschienen und in roter und schwarzer Farbe zu bekommen.
Ich hab jetzt detaillierte Anweisungen hinterlassen, wie meine Orchideen zu wässern sind und bin gespannt, ob sie es durch die nächsten Wochen schaffen.

Airsoft – New Eyes CS

Fragt mich nicht, wie, aber ich bin neulich gen Abends auf Kraichgau TV gelandet. Und geblieben. Die haben da ein Interview mit unserem Finanzminister gesendet, das aus dem Jahr 2015 stammte. Damals war der Typ noch ein normaler Thirty-Something FDP Aktiensüchtiger mit Kokainpopeln und dem typisch liberalem Geltungsdrang und aufdringlicher Omniszienz. Vogel.

Keine Ahnung, worum es in dem Interview ging, ich war nur so gebannt davon, dass die ganze Zeit in der Ecke "Christian Linder" stand. Fand ich irgendwie sympathisch. Da hatte wohl in der Redaktion auch niemand mehr Bock auf eine Feedbackschleife und wollte sich den Scheiß nicht noch einmal ansehen. Kraichgau TV. Zeigt den Neoliberalen den Mittelfinger des Dilettantismus. Genial.

Ausgesprochen professionell hingegen könnte man das neue Tape von Airsoft bezeichnen. Angenehm unterkühlter Lofi Shoegaze Indie Punk mit genügend Melodien für mehrere Runden auf dem Kettenkarussel der letzten 30 Jahre DIY Punk. Die 4 Leute aus Hattisburg in Mississippi liefern in unter 9 Minuten 6 Songs ab und gewinnen damit das Rennen. Das Rennen zum Kassettendeck, um alle 4 Minuten umzudrehen. Cooler Scheiß!

Earth Girl Tapes. Kam vor ein paar Tagen auf zweifarbigen Kassetten raus. Pink auf der einen Seite und hellblau auf der anderen. Für Buben und Mädel. Die haben an alles gedacht. Ich sag ja, Profis.

Heaven’s Gate – S/T LP

Wenn das die Himmelspforte ist, hat der Teufel aber nicht mehr viel zu bieten. Heaven’s Gate aus Tampa, Florida schreddern erstklassigen Hardcore Metal Punk aus den Sümpfen in Deine müden Ohren und erinnern Dich an solch erstklassigen Ergüsse von den Genregrößen Municipal Waste, Warthog oder Cannibal Corpse. Kein Wunder, das sind die selben Typen.

Ist es Punk? Ist es Metal? Es ist vor allem bereits auf farbigem Vinyl ausverkauft, obwohl es doch erst in ein paar Tagen offiziell erscheint. Na sowas.

Beach Impediment Records. Auf schwarz noch vorzubestellen. In digital schon jetzt zu genießen. Aber Vorsicht, wenn sich die Himmelspforte öffnet, lauert des Öfteren ein Gewitter dahinter.

Gedanken. Ich, konservativ.

Mir drängt sich eine Frage auf. Bin ich konservativ?
Es beginnt ja meist schleichend, diese ablehnende Haltung gegenüber den progressiven Errungenschaften der jungen Generation. Bis zu einem gewissen Innovationsgrad bin ich noch mit dabei und dann, schwupps, ist das alles auf einmal unfassbar scheisse und dumm. Zumindest in meinen Augen.

So kann ich zum Beispiel die Digitalisierung und ständige Verfügbarkeit von Musik noch gutheißen und befürworten, obwohl ich ja eigentlich streng analog mit Platten und dem ganzen gestrigen Quatsch unterwegs bin. Denn die Möglichkeit für Bands und Künstler, ihre Veröffentlichungen jeder Person auf diesem Planeten mit Internetzugang anzubieten, ist schon echt wahnsinnig gut. Künstlerische Vielfalt für alle und jeden immer und überall – geile Errungenschaft. Im Prinzip.

Doch dann wird aus diesem ganzen Gedöns ein Geschäftsmodell gemacht, das ich nicht mehr verstehe und dem ich mich deswegen warscheinlich auch seit jeher verschließe. Fucking Spotify als Anführer dieser Streamingdienste ist mit den Majors im Bett – wie konnte das nur passieren? Die Majorlabels hatten ausgeschissen, als auf einmal MP3 Tauschbörsen aufkamen und damals schon, vor 20 Jahren (!) alles überall verfügbar war, wenn auch nicht im schnellen Stream, sondern mittels eines Downloads, der für einen Song ungefähr eine Viertelstunde gebraucht hat – aber es geht ja ums Prinzip.
Und dann? Dann kam auf einmal das Urheberrecht wieder zurück in das Bewusstsein. Und damit einhergehend natürlich die Frage nach der Wertschätzung Bezahlung. Und wenn jemand nach Geld schreit, wird die Industrie schnell hellhörig und findige Marketingdeppen entwickeln zusammen mit den Geldsäcken ein Modell, von dem es so aussieht, als würden alle davon profitieren. Was natürlich Quatsch ist.
Profit machen hier nur die Musikindustrie und eine handvoll Künstler, die pro Monat mehrere Millionen Streams generieren. Find ich kacke so, geh ich nicht mehr mit – man kann ja auch die Bands oder kleinen Labels direkt bezahlen und die Musik streamen oder herunterladen, ohne einem Unternehmen als Dienstleister sein Geld in den Rachen zu schmeißen.

Ich hab damit offensichtlich grundlegend ein Problem, wenn sich Unternehmen an anderer Leute Arbeit bereichern. Das hatte ich schon zu Discogs gesagt, die ja nun wirklich nichts selber machen, außer eine Plattform zu bieten. Und mit Spotify oder anderen Streaminganbietern ist es genau das Gleiche. Die sind einfach nur da, machen ein bisschen cooles Marketinggeschrei und verdienen sich an den Künstlern, ohne die sie keinen Inhalt hätten, eine goldenen Nase, die Pinocchio neidisch werden lässt. Anscheinend ist hier bereits meine Grenze erreicht, an der ich den Fortschritt nicht mehr mitlaufen und lieber im gestrigen Wunderfabelsuperland bleiben möchte.
Schlimmer wird es dann nur noch mit den NFTs. Was zur Hölle soll denn der Scheiss überhaupt sein? Und wieso erlauben sich Menschen nun, Anspruch auf Kunst zu erheben, mit der sie überhaupt kein bisschen etwas zu tun haben? Und selbst wenn, was ist das denn für Kunst, die nicht von anderen angesehen oder angehört werden kann? Denn die Idee dahinter ist doch der exklusive Zugriff auf ein Einzelstück, oder?

Passend dazu:

Wahrscheinlich verstehe ich es nicht, bin zu alt und deswegen so ablehnend. Aber das hat in meinem Leben nichts verloren. Und vielleicht beantwortet das meine eingangs gestellte Frage..?